Laudatio für die Verleihung des Kulturförderpreises an die AG Carpe Diem des Strittmatter-Gymnasiums Gransee (AG Leiter Herr Hahn) am 3.09.2021 im Oranienwerk in Oranienburg
von Ulrike Grittner
Sehr geehrter Herr Landrat Weskamp, sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender Krüger, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der AG Carpe Diem, lieber Herr Hahn,
„Carpe Diem“ – dieser lateinische Ausspruch des Dichters Horaz bedeutet „Nutze den Tag!“.
Meine Damen und Herren, wenn ich daran denke, wie wir den Tag sinnvoll nutzen, dann fallen mir Termine auf der Arbeit ein, die einzuhalten sind, da ist für einige von uns die Schule, für die man lernen muss, Hausaufgaben, ein wichtiges Telefonat, die Steuerklärung, der Einkauf, die Wäsche usw. All diese Dinge füllen unsere Tage und halten uns auf Trab. Aber mit „Carpe Diem“ ist etwas Anderes gemeint. „Carpe Diem“ heißt wörtlich übersetzt „Pflücke den Tag“ und sinngemäß „Genieße den Tag“. Horaz schreibt:
„Genieße den Tag (Carpe Diem), und vertraue möglichst wenig auf den folgenden!“
Es geht darum, den Moment voll und ganz auszukosten und intensiv zu erleben. Dieses intensive Erleben gelingt kaum beim Abarbeiten von täglichen Pflichten. Gemeint ist hier aber
auch nicht das Feiern von Partys bis zum Abwinken. Momente intensiven Erlebens finden vielmehr in einem ganz anderen Bereich statt. Zum Beispiel beim Hören eines Musikstückes, das uns berührt, beim Betrachten eines Gemäldes, beim Lesen einer Geschichte, oder beim Schauen eines Filmes.
Die Faszination, die von einem guten Buch oder Film ausgeht, speist sich aus der Tatsache, dass wir vollkommen in eine Geschichte eintauchen können. Wir identifizieren uns mit der Hauptfigur und fiebern mit. Was wird als nächstes Geschehen? Wie werden die Akteure reagieren? Unser Herz klopft schneller, wenn es spannend wird und wir sind froh und erleichtert, wenn die Handlung eine gute Wendung nimmt, aber wir sind nicht direkt betroffen und können uns auf dem bequemen Sofa im Warmen rekeln und einen Schluck Tee trinken, auch wenn es in der Geschichte stürmt und schneit und die Hauptfigur beinahe erfriert. Dennoch frieren wir innerlich mit…
Das Einlassen auf Kunst, Literatur und Lyrik bereitet uns intensive Erlebensmomente. Und diese Momente erlauben uns einen spielerischen Umgang mit den großen und kleinen Problemen der Menschheit. Durch sie können wir Erfahrungen und Gefühle gleichsam probehalber durchleben. Solche Erfahrungen, selbst wenn oder gerade, weil sie im Spielerischen und Erprobten verbleiben, faszinieren und prägen uns. Friedrich Schiller erkannte, dass diese Möglichkeiten, die uns die Kunst und die Literatur bietet, dieses spielerische Miterleben etwas ist, dass uns als kulturelle Wesen überhaupt erst ausmacht. Er schrieb: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.
Was hier mit Spiel gemeint ist, ist aber nicht bloße Spielerei oder bedeutungsloses Vergnügen. Kunst und Literatur können uns erschüttern und verändern. Unser Weltbild kann ins Wanken geraten. Unsere Auffassungen von Recht und Moral können hinterfragt werden. Kunst und Literatur vermögen es uns herauszufordern, uns betroffen zu machen, uns zu berühren. Das ist das faszinierende an Kunst und Literatur.
Meine Damen und Herren, wenn ein Lehrer diese Faszination spürt und seine Schülerinnen und Schüler damit ansteckt, wenn ein Raum entsteht, in dem Schülerinnen und Schüler inspiriert werden in die Welt der Literatur und Lyrik in diese Faszination gleichsam einzutauchen und sogar selbst Texte zu schreiben, und mit diesen Texten vor ein Publikum treten, dann – erlauben sie mir an dieser Stelle etwas pathetisch zu werden – dann ist das etwas ganz Besonderes.
Bei den Lesebar-Abenden lesen Schülerinnen und Schüler selbst verfasste Texte vor. Geschichten und Gedichte, frei erfundene und welche, die auf selbst Erlebtem beruhen in einer heiteren und respektvollen Atmosphäre. Die selbst verfassten Texte erscheinen in kleinen Büchern. Sie umspannen große Themen wie Liebe, Freiheit, Mobbing, Umweltschutz und Frieden. Sie beruhen manchmal auf kleinen Alltagsbeobachtungen. Sie sind manchmal lustig, manchmal traurig. Sie sind spannend, poetisch, modern oder klassisch. Es gibt außerdem verschiedene Formate von Lesungen und Begegnungen mit Kita- Kindern, mit Seniorinnen und Senioren, mit Blinden, mit anderen Schülerinnen und Schülern. Zu Corona-Zeiten fand eine Online-Lesung statt, die sehr große Resonanz hatte und sogar zum Teil von Zuhörern außerhalb Deutschlands verfolgt wurde. Gemeinsame Besuche von Lyrik und Poetry-Slam Veranstaltungen und Workshops mit eigens dafür eingeladenen Lyrikerinnen und Lyrikern erweitern das Spektrum.
Lassen sie mich aus dem Buch „Selfie mit Eva“ einen kurzen Ausschnitt zitieren, der die Leistung von Herrn Hahn würdigt. Es ist ein Ausschnitt aus einem Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter (von Belinda und Melissa Wilke):
Mutter: Damals, Deutsch-Leistungskurs, das waren noch Zeiten,
Goethe, Schiller, Kästner, Lyrik vom Feinsten,
Unser Lehrer fühlte und lebte jede Zeile,
nahm uns mit in seine Welt für eine Weile.
Tochter: Oh, what a teacher and glory times!
Ich hab doch den gleichen Lehrer.
Aber immer nur alte Gedichte sind
Nicht so meins.
Die Themen sind heute bestimmt auch viel schwerer.
Deswegen schreiben wir uns die Gedichte selber.
Meine Damen und Herren, in der AG Carpe Diem entstehen immer wieder neue prägende Erlebnisse und Erfahrungen, die sehr viel bedeutsamer im Leben eines jungen Menschen sind, als das bloße Fachwissen, das für Klassenarbeiten und Tests relevant ist.
Meine Damen und Herren, erinnern sie sich noch daran, was sie in der Schule gelernt haben? Ja? Nein?
Aber was wir erinnern, sind die Ereignisse, die wir selbst gestaltet haben. Die Werke, die wir selbst erschaffen haben. .Das ist es, was uns Menschen ausmacht. Das ist es, was die Schülerinnen und Schüler der AG Carpe Diem gelernt haben:
Sei du selbst, genieße (und nutze) den Tag, du kannst etwas in dieser Welt bewirken! Ihr könnt etwas in dieser Welt bewirken!